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Liebesgedichte
  
Erinnerung
Hab’ ich mich nicht losgerissen,
Nicht mein Herz von ihr gewandt,
Weil ich sie verachten müssen,
Weil ich wertlos sie erkannt?
Warum steht in holdem Bangen
Sie denn immer noch vor mir?
Woher dieses Glutverlangen,
Das mich jetzt noch zieht zu ihr?
Tausend alte Bilder kommen,
Ach! Und jedes, jedes spricht:
Ist der Pfeil auch weggenommen,
Ist es doch die Wunde nicht.
Franz Grillparzer
(1791-1872)
Laß tief in dir mich lesen,
Verhehl’ auch dies mir nicht,
Was für ein Zauberwesen
Aus deiner Stimme spricht?
So viele Worte dringen
Ans Ohr uns ohne Plan,
Und während sie verklingen,
Ist alles abgetan.
Doch drängt auch nur von ferne
Dein Ton zu mir sich her,
Behorch’ ich ihn so gerne,
Vergess’ ich ihn so schwer!
Ich bebe dann, entglimme
Von allzu rascher Glut:
Mein Herz und deine Stimme
Verstehn sich gar zu gut!
August von Platen
(1796 bis 1835)
Des Glückes Gunst wird nur durch dich vergeben,
Schön ist die Rose nur, von dir gebrochen,
Und ein Gedicht nur schön, von dir gesprochen:
Tot ist die Welt, du bist allein am Leben.
In diesen Lauben, die sich hold verweben,
Wird ohne dich mir jeder Tag zu Wochen,
Und dieser Wein, den warme Sonnen kochen,
Kann nur aus deiner Hand mein Herz beleben.
Von dir geschieden, trenn’ ich mich vom Glücke,
Das Schönste dient mir nur, mich zu zerstreuen,
Das Größte füllt mir kaum des Innern Lücke.
Doch drückst du mich an deine Brust, den Treuen,
Dann kehrt die Welt in meine Brust zurücke,
Und am Geringsten kann ich mich erfreuen.
August von Platen
(1796 bis 1835)
O schöne Zeit
O scheine Zeit, da mich noch jede Stunde
Zu einer frisch erschlossenen Blüte rief,
Da jeder Tag, ein goldner Freudenbrief,
Sich vor mir auftat mit beglückter Kunde;
Da, wie die Ros’ in dunklem Alpengrunde,
Ihr liebes Bild mir blüht’ im Herzen tief
Und ich mit ihrem Namen sanft entschlief,
Als würd’ er zum Gebet in meinem Munde!
Du bist dahin, und doch, du bist noch mein:
Es fließt das Lied von deinen Nachtigallen,
Ein Frühlingsgruß, in meinen Herbst hinein.
Allabendlich, wenn Stadt und Flur verhallen,
Kehrt die Erinnrung tröstend bei mir ein,
Mit mir im Träume durch die Nacht zu wallen.
Emannuel Geibel (1815
bis 1884)
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